Kraftbus - Decksitzwagen
Mit dem Begriff Decksitzwagen werden die Wagen bezeichnet, die auf dem
Dach des geschlossenen Wagenkastens Sitzplätze anbieten. Die Sitzreihe verfügt über keinen Wetterschutz.
Decksitzwagen haben ihren Ursprung aus der Zeit der Pferdeomnibusse,
auf den kurzen Wagen möglichst viele zahlende Kunden zu transportieren. Der Aufstieg war einst beschwerlich über eine kurze Eisenleiter am Wagenende und daher auch nur den männlichen Fahrgästen vorbehalten.
Der freie Sitz bei Wind, Regen und praller Sonne wurde mit einem Preisnachlaß entschädigt.
Auch beim Kraftomnibus gab es anfänglich noch konstruktive Schwierigkeiten ein vollwertiges Verdeck auf dem Oberdeck zu bauen. Die
ersten Wagen nebst Fahrgestell waren noch vom Kutschenbau aus Holz entstanden.
Wir bieten hier einen kurzen Überflug durch die Fahrzeugentwicklung:
Eine sehr ausführliche Ausarbeitung zu den Kraftomnibussen ist bereits vom Buchautor und Verkehrshistoriker Peter Müller-
Mark in seiner 2005 erschienenen Veröffentlichung “100 Jahre Berliner Kraftomnibusse” erschienen, dem nichts hinzuzufügen
ist. Er hat auch eine Typeneinordnung der zahlreichen Unterserien vorgenommen, die wir ebenso verwenden.
Kraftomnibusse (KO)
Ab dem 18.11.1905 wurden die ersten Fahrgastfahrten mit diesem Kraftomnibus in Berlin angeboten. Fahrgestell und Motor stammten aus den
Daimlerwerken in Marienfelde. Der Aufbau wurde vom Kutschenbauer Lange&Gutzeit geliefert, wie auch
die Jahre zuvor für die Pferdeomnibusse. Wagen 301 und 1302 erhielten ihre Nummern von der zugeteilten
Betriebsgenehmigung, die von der ABOAG als Wagennummer übernommen wurde. In der Fahrzeugsammlung der Berliner
Verkehrsbetriebe (BVG) ist heute ein Wagen dieser Fahrzeugart vorhanden und wird vom Technikmuseum aufbewahrt (RK-Wagen, Nummer 37, Baujahr 1915
). Für touristische Fahrten hält der Verkehrsbetrieb 3 Nachbauten für Stadtrundfahrten vor, entsprechend mit technischen Kompromissen der heutigen Verordnungen (Luftreifen, Lichtanlage, Blinker,
Motorentechnik aus dem Jahr 1976 bzw. 1988).
|
Daimler-Kraftomnibus der ersten Lieferung aus dem Jahr 1905 -06 im Kreuzungsbereich Friedrichstr. / Unter den Linden (1906
). Rechts auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Pferdebus
1907 erfolgte die Anschaffung eines Versuchswagens (Wagennummer 1400, Hanomag), der auf der Linie 4 etwa 2 Jahre
eingesetzt wurde. Müller-Marek bezeichnete diesen Einzelgänger mit der Ordnungsgruppe KO20
Einige Fahrzeuge der frühen Berliner Verkehrsgeschichte sind heute in der Berliner Nahverkehrssammlung erhalten. Ein
Kurzüberblick gibt hier diese Themenseite aus dem Webangebot der Berliner Verkehrsseiten:
|
|
Die ABOAG war nicht sonderlich zufrieden mit den von der Industrie gelieferten Fahrzeugen. Kein Hersteller wollte auf diese
Kleinserien speziell eingehen und daher wurden die späteren Fahrzeuge ab 1915 in der ABOAG-eigenen Hauptwerkstatt
gefertigt. Diese Wagen der Ordnungsgattung DS wurden RK (Robert-Kaufmann) - Wagen genannt. R. Kaufmann war damalig
ein Vorstandsmitglied der ABOAG und galt als Entwickler der eigenen Fahrgestelle. Die letzten RK- Wagen wurden im
Sommer 1928 außer Dienst gestellt. Ein Fahrzeug (Baujahr 1915) ist heute im Technikmuseum erhalten.
Decksitzwagen â”Robert Kaufmann” vor dem Görlitzer Bahnhof (1927) der Ordnungsgattung KO
Insgesamt zu diesen Wagen gab es eine große Vielfalt in den Ausführungen und Herstellern. Genauere Daten sind dem
Standardwerk von Müller-Mark zu entnehmen (siehe unter Literatur am Seitenende).
Decksitzwagen (DS)
Decksitzwagen Baujahr 1924 (Ordnungsgruppe DS 05 nach Müller-Mark)
Bei den Wagen nach Ordnungsgruppe DS 05 wurden erstmals Doppelquersitze auf dem Decksitz angeboten und der Zustieg
erfolgte nun seitlich am Wagenende.
Wagen der Ordnungsgruppe DS 08, Baujahr 1925 NAG. Diese Fahrzeuggattung ist nur bis 1928 eingesetzt worden.
Die Vielfalt in den Jahren ab 1918 war groß. Die Wagenanzahl der einzelnen Bauserien war gering, jedoch dafür gab es in
einem Jahre mehrere Bauserien, die sich jeweils leicht unterschieden. Herstellerfirmen waren weiterhin Daimler, NAG und Büssing sowie einige weitere (Saurer) auch ausländische Vertreter.
Decksitzwagen der Ordnungsgruppe DS 10 (Wagen 272, Baujahr 1925, NAG / ABOAG- Wagenfabrik)
Wagen 273 (DS 10). Baujahr 1925, Fahrgestell von NAG, Wagenaufbau von der ABOAG- eigenen Wagenfabrik
Sehr feinteilig die Unterschiede zwischen den Wagenbauarten DS 10 bis DS 13. Hier der Wagen 363 (DS12)
Die Serie DS12 besitzt ein Fahrgestell von Büssing und die Wagennummern 346-356 sowie 358-366 (20 Wagen) und trägt
einen Aufbau von der Fabrik für Eisenbahn- und Militärbedarf Weimar. Die Wagen der Serie DS10 bis DS13 haben alle eine
Zustiegseite vom Gehweg aus (Rechtszustieg in die Plattform am Heck). Die Wagen DS10 bis DS13 haben alle ganzteilige
Fensterscheiben (keine Lüftungsklappen oberhalb im Fenster). Die Wagen DS12 und DS13 (DS13= Wagennummern 396-450,
Fahrgestell Büssing, Aufbau stammt bei den DS13 von den Eisenbahn-Verkehrsmittel AG Wismar, Fabrik für Eisenbahn- und
Militärbedarf Weimar, Christoph&Unmack Niesky sowie der Ohrenstein&Koppel) haben nur wenige Unterschiede, die eine
Bestimmung sehr schwer machen. Identifiziert werden können sie aber auch über das Kennzeichen. Die Wagen der DS12 tragen die Kennzeichnengruppe IA-26..., die DS13 tragen die Kennzeichengruppe IA-34...
|
Wagen 427 (Baujahr 1926) entstammt der Ordnungsgruppe DS 13. Fahrgestell von Büssing, Wagenaufbau von Christoph & Unmack, Niesky
Ab Oktober 1935 war auf den deutschen Straßen keine Vollgummireifen mehr zugelassen und viele Fahrzeuge mussten nach
weniger als 10 Jahren aus dem Betrieb genommen werden. Einige Wagen wurden auf Luftrad umgerüstet, jedoch waren diese
dann nur noch als Werkstattwagen oder Lastkraftwagen für die Betriebshöfe verwendet. Leider ist kein Decksitzwagen aus den 20er Jahren heute erhalten geblieben. Eine Lücke in der großen Berliner Fahrzeugsammlung.
Bei einigen Hauptuntersuchungen der Wagen wurden je nach Zustand die Aufbauten ausgetauscht. Damit ist die große Vielfalt
der Fahrgestell- und Aufbautenkombinationen vorstellbar. Auch erhielten Ende der 20 Jahre auch einige DS- Wagen ein
geschlossenes Oderdeck und gehörten damit der Fahrzeuggruppe DD an. Ab 1925 wurden die ersten DD- Wagen geliefert, sie dazu auf der nächsten Seite.
Ein sehr weites Feld, zu dem wir das fast 500 Seiten starke Werk von Müller-Mark empfehlen (siehe Seitenende unter Literatur).
Quellen und weitere Literaturhinweise:
-
Festschrift zur 60-Jahrfeier der ABOAG (25. Juni 1928), herausgegeben von der ABOAG
-
Geschäftsberichte der ABOAG
-
Publikation “Die BVG und ihr Betrieb” (1934)
-
Firmenchronik, interne Zusammenstellung der BVG, Fachbereich VO1 (Verkehr Oberfläche), (1440 - 1972)
-
Festschrift “50 Jahre BVG” (1979), Herausgeber BVG (West)
-
Private Chronik zum Berliner Omnibusverkehr (Marinebaurat Dipl. Ing. Helmuth Bombe, Berlin 1961)
-
“100 Jahre Berliner Kraftomnibusse - Die ersten 40 Jahre” von Peter Müller-Mark (2005), Anmerkung der
Redaktion: Ein absolutes Standardwerk zum Thema ABOAG, Fahrzeugbau und Verkehrsentwicklung.
Text und Zusammenstellung: M. Jurziczek, 4/2014
|