´”Der Tagesspiegel”, “Die Wahrheit”, “Berliner Morgenpost” und “Der Abend” berichten am 19. April über die am Vortag stattgefundene Veranstaltung der
Initative Ortskern Zehlendorf. Es wird von einem überfüllten Bürgersaal, schätzungsweise 600 Bürger, berichtet. Die Bürger forderten das Abgeordnetenhaus auf, mit ihrer Entscheidung über das Zehlendorfer Tunnelprojekt
abzuwarten, bis ein Planungsbericht vorliegt. Eine Abordnung sollte den Fraktionssitzungen diese Forderung überbringen. Die Bezirkspolitiker ließen sich nicht blicken, lediglich der Fraktionsvorsitzende der FDP,
Walter Rasch, war anwesend. Resolution der Versammlung Bürgerinitiative “Erhaltung Ortskern
Zehlendorf” vom 18. April 1974 an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus Die Bürgerinitiative gab als Gründe für ein “Nein zum Tunnelbau”:
- 40 Millionen Mark sind zu viel für ein Kreuzungsproblem - 130 Bäume müssen dem Tunnelprojekt weichen - Die Dorfkirche und -anger wären von der Schnellstrasse isoliert
- 100 Wohnungen und 16 Geschäftsräume müssten dem Bauvorhaben weichen - Das Nachbarschaftsgefüge könnte unabsehbar gestört werden - Verringerung der Fußgängerbereiche - Verstärkung des Verkehrs
- Die prognostizierten Verkehrswerte sind zu hoch Die Bürgerinitiative legte aber auch Alternativpläne vor, die erheblich kostengünstiger ausfielen. Am 22. April, also 3 Tage vor der Entscheidung im Abgeordnetenhaus
über die Bewilligung der Mittel rief die FDP-Fraktion über eine Presseerklärung die anderen Fraktionen auf, mit der Abstimmung am 25.4.1974 die Mittel für den Zehlendorfer Autotunnel nicht zu bewilligen, wenigstens
jedoch eine Denkpause über dieses Vorhaben einzulegen. Desweiteren würden die Alternativvorschläge der Bürgerinitiative “erhebliche soziale und städtebauliche Fehlentwicklungen vermeiden”. Am 23. April, zwei Tage vor
der Entscheidung im Abgeordnetenhaus über die Bewilligung der Mittel stellte die SPD den Antrag, die Entscheidung des Abgeordnetenhauses in den Mai zu vertagen. Vielmehr soll die Bürgerinitiative die Möglichkeit
erhalten, ihre Alternativpläne dem Bau- und Verkehrsausschuß im Abgeordnetenhaus vorzutragen. Am 24. April tagte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Stadtbezirkes Zehlendorf. Der Bezirksbürgermeister Dr.
Rothkegel wies in einer Rede den Vorwurf zurück, die Verwaltung würde bei diesem Bauvorhaben die Bürger überrollen. Die Vorschläge der Bürgerinitiative wären schließlich nicht neu, aber die fachliche Betrachtung läßt
keine andere Möglichkeit zu. Zudem seien alle Parteien geschlossen für das Bauvorhaben. Der Gipfel des Plädoyers wird wie folgt formuliert: “Die unmittelbare Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen der
Verwaltung ist wegen der zunehmenden Komplizierung aller Lebensverhältnisse im modernen Verwaltungsstaat und bei der wachsenden Größe der Gemeinden nur noch begrenzt möglich.” Abschließend bekräftigt der
Bezirksbürgermeister, dass der Bau des Autotunnels eine notwendige, sinnvolle und zweckmäßige Verkehrslösung sei. Auszug aus dem Protokoll der BVV vom 24.04.1974 (Rede des Bezirkbürgermeisters) Die Äußerung des Bezirksbürgermeisters über seine
Vorstellung der Mitbestimmung der Bürger brachte die Bürgerinitiative erst richtig auf den Plan. Wie schon erwähnt, sind im südlichen Bereich der Bundesstrasse 1 insgesamt 6 Unterfahrungen gem. dem
Flächennutzungsplan (FNP) 65 vorgesehen. Die Unterfahrung Drakestrasse wurde schon errichtet, der Ortskern Zehlendorf wäre die zweite Anlage gewesen. Die Verwaltung gefährdete mit dem Fall des Zehlendorfer Tunnels die
weiteren Unterfahrungen Asternplatz, Thielallee / Schützallee, Sundgauer Strasse und Argentinische Allee/ Spanische Allee. Die FDP Zehlendorf nahm sich immer mehr dem Thema an. Die FDP sammelte am 27.4.1974 binnen 3
Stunden 2117 Unterschriften [Quelle: Tagesspiegel vom 28.4.1974]
gegen den Tunnelbau. In den Wochen bis zum Mai 1974 erhöht sich der Protest der Bürger gegen den 871 Meter langen Bau im Ortskern. Die Bürger protestieren besonders gegen die Abholzung der Bäume. Auf dem Tunnel können keine neuen Bäume gepflanzt werden, da die Wurzeln die Tunneldecke beschädigen wurden / das Wurzelwerk keinen Halt im Boden finden würde. besonders der Allee-Charakter der einstigen Königsstrasse ginge für immer verloren.
Im Mai 1974 rudern die Parteien im Bezirk langsam zurück. In einer Presseerklärung fordert die CDU-Zehlendorf von der CDU-Berlin die Prüfung der eingegangenen Vorschläge der Bürgerinitiative. Auch die SPD-Zehlendorf
bekennt, sie wolle die Vorschläge in Ruhe überdenken. Nur wenn der Tunnel in der geplanten Form in den folgenden 10 Jahren benötigt wird, müsse er jetzt gebaut werden. Des weiteren ist der Pressemitteilung zu
entnehmen: Der Tunnel sei für die SPD “keine heilige Kuh”. Auch in anderen Stadtteilen wächst der Unmut gegen die Ausführung des Flächennutzungsplanes aus dem Jahr 1965. In Schöneberg formiert sich die
Bürgerinitiative Friedenau”, die gegen die Teilung des Stadtviertels durch die Westtangente (auch ein Teilstück der ausgebauten Bundesstraße 1) kämpft. Später entsteht aus ihr die Initiative Westtangente, die den
Weiterbau am Schöneberger Kreuz verhindert. Anfang Mai hat die Bürgerinitiative Ortskern Zehlendorf bereits 9000 Unterschriften aus der Bevölkerung gegen den Bau des Autotunnels gesammelt. Am 9. Mai sollen diese mit
weiteren neuen Argumenten der Bezirksversammlung Zehlendorf in einer Podiumsdiskussion vorlegen. Informationsblatt der Bürgerinitiative zur Podiumsdiskussion am 9.5.1974 Der Tagesspiegel schreibt am 11. Mai 1974 über die Podiumsdiskussion, dass die
Bürgerinitiative das Aussetzen der Planung für 10 Jahre fordert. Bis dahin, wenn dann evtl. eine Tunnellösung erforderlich ist, soll eine kostengünstigere Lösung zur Umgestaltung des Kreuzungsbereiches erfolgen. Das
dadurch eingesparte Geld können so sozial stark belastete Bezirke profitieren. Am 16. Mai stellt der Bausenator Riebschläger nun einen geänderten Ausführungsplan vor. Vorschläge der Bürger sind die Änderung
eingeflossen. Demnach ergeben sich nun erheblich mehr Grünflächen und die Gehsteige sind in breiterer Ausführung dargestellt (ein Gewinn von 2000 qm2). Die Tunneldecke im Bereich der Mittelinsel soll etwas
aufgeschüttet werden, sodass kleine Bäume gepflanzt werden können. Durch den Fortfall einer der 3 Fahrspuren je Seite gewinnen die Fußgänger mehr Raum. Der Bausenator bekräftigt jedoch, dass der Tunnel notwendig ist und
die Bauverwaltung unverändert zum Projekt steht. Der Tunnel würde der Verkehrsberuhigung dienen, die Unfallziffern herabsetzen, Lärm und Schmutz reduzieren. Informationsblatt vom 16.5.1974 mit Antwort auf den geänderten Tunnelplan Die Bürgerinitiative lehnt aber auch diese Tunnelvariante ab. Auch weil nun höhere Kosten genannt werden (Anfangs 30 Mio, nun schon 40 Mio Mark). Am 19. Mai 1974 berichtet der Tagesspiegel, dass
die Zehlendorfer SPD die überarbeiteten Pläne begrüßt. Am 29. Mai hat der Bau- und Verkehrsausschuß im Abgeordnetenhaus die Entscheidung getroffen, die Gelder für den Tunnelbau freizugeben. Informationsblatt vom 30.5.1974 zur Abgeordnetenentscheidung Nach dieser Entscheidung des Abgeordnetenhauses waren die Signale für den Tunnelbau auf Grün geschaltet. Lediglich der letzte Beschluß des Abgeordnetenhaus stand noch aus (13.6.1974). Die
Bürgerinitiative rief nun zu einer Protestkundgebung vor dem Rathaus Zehlendorf auf. Am Sonnabend, den 8. Juni möge sich jeder Tunnelgegner unter der alten Kastanie versammeln. Informationsblatt mit Aufruf zur Protestkundgebung am 8.6.1974
|