WUB Zehlendorf

Die WUB
Der Tunnel
Die Bürger

Der Zehlendorfer Tunnel

D i e   B ü r g e r   u n d   d e r   Z e h l e n d o r f e r   T u n n e l 

Die Stadt Berlin hat alles bestens vorbereitet. Die Bürgervertreter auf der Bezirksebene segneten im Auftrag der Zehlendorfer Bürger die Pläne ab. 

Im März 1974 konstituieren sich einige Anwohner des Ortskerns und versuchen  Mitbürger über die Auswirkungen des Vorhabens zu  informieren, sowie über die Notwendigkeit zu diskutieren. Dem Archiv des Vereins WUB-Zehlendorf liegen erste handgezeichnete Alternativpläne vom 22.3.1974 vor. Schon im März taucht erstmals der Name einer Bürgerinitiative auf (Gründung: 23.3.74) .

1. Flugblatt der Bürgerinitiative und Einladung zur Versammlung am 18.4.74

 Am 17.4.1974 schreibt der Tagesspiegel :

Bürgerinitiative in Zehlendorf hält Verkehrstunnel für überflüssig

Zerstörung des Ortskerns befürchtet - Abgeordnete entscheiden am 25. April

Eine Woche bevor das Abgeordnetenhaus über die Mittel für die Untertunnelung der Kreuzung Berliner Straße und Clayallee in Zehlendorf entscheidet, kommen die Gegner dieses Projekts aus der Zehlendorfer Bürgerschaft zu einer Protestversammlung zusammen. Die Versammlung findet am 18. April um 19 Uhr 30 im Bürgersaal statt. Die Veranstalterin, die “Bürgerinitiative Erhaltung Ortskern Zehlendorf” hatte sich gebildet, nachdem die Pläne offengelegt worden waren. Sie hält die Notwendigkeit für ein derartiges Projekt nicht für bewiesen.

3000 Zehlendorfer haben außerdem inzwischen eine Protestresolution unterschrieben, in der es heißt, daß die vorgesehenen 40 Millionen Mark für den Tunnelbau und weitere 16 bis 35 Millionen Mark für den Neubau von Ersatzwohnungen für vernünftigere Zwecke Verwendung finden sollten. Ferner werde gegen das Fällen von 130 Bäumen im Zehlendorfer Ortskern Einspruch eingelegt.

Die Zehlendorfer befürchten die Zerstörung des “Nachbarschaftsgefüges” durch die bis zu einer Breite von 55 Meter sich ausdehnende geplante Tunnelstrecke. Sie meinen, das Notwendige für die Verkehrsverbesserung wäre mit bedeutend kleineren Maßnahmen schneller und billiger und vor allem ohne Eingriffe in die Struktur zu erreichen. Es genüge, wenn durch die Anlehnung zusätzlicher Abbiegespuren und durch Parkverbote an kritischen Stellen mehr Raum für den Durchgangsverkehr geschaffen werde; wenn statt der bisher für den Geradeausverkehr der Strecke Berliner Straße/Potsdamer Straße zur Verfügung stehenden einen Spur künftig zwei Spuren vorhanden wären.

Die Anwohner leiten ihre Vorstellungen aus der unmittelbaren Beobachtung der Verkehrsvorgänge an der umstrittenen Kreuzung ab. Dort zeige sich, heißt es, daß die Stauungen ausschließlich durch die nicht ausreichende eine Spur für den Geradeausverkehr zustande kämen. Außerdem hält die Bürgerinitiative die Behauptung des Bausenators, der Autoverkehr würde sich auf der Durchgangsstrecke in den nächsten zehn Jahren verdoppeln für absolut abwegig. Dieser Schätzung lägen keinerlei sichere Anhaltspunkte zugrunde.

Die Senatsbauverwaltung erwartet indessen, daß das Abgeordnetenhaus seine für den 25. April angesetzte letzte Entscheidung über das Projekt ebenso positiv fällen werde, wie zuvor schon der Hauptausschuß, der Bauausschuß und der Planungsausschuß. Nach der Meinung des Bausenators stelle die geplante Tunnelstrecke eine städtebauliche Verbesserung für Zehlendorf dar. Andererseits wird beim Bausenator nicht bezweifelt, daß die reine Verkehrslösung auch mit weniger baulichem Aufwand lösbar wäre, nur eben nicht so “zukunftssicher”.                                                                              fa

´”Der Tagesspiegel”, “Die Wahrheit”, “Berliner Morgenpost” und  “Der Abend”   berichten am 19. April über die am Vortag stattgefundene Veranstaltung der Initative Ortskern Zehlendorf. Es wird von einem überfüllten Bürgersaal, schätzungsweise 600 Bürger, berichtet. Die Bürger forderten das Abgeordnetenhaus auf, mit ihrer Entscheidung über das Zehlendorfer Tunnelprojekt abzuwarten, bis ein Planungsbericht vorliegt.  Eine Abordnung sollte den Fraktionssitzungen diese Forderung überbringen. Die Bezirkspolitiker ließen sich nicht blicken, lediglich der Fraktionsvorsitzende der FDP, Walter Rasch,  war anwesend.

Resolution der Versammlung Bürgerinitiative “Erhaltung Ortskern Zehlendorf” vom 18. April 1974 an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus

Die Bürgerinitiative gab als Gründe für ein “Nein zum Tunnelbau”:

- 40 Millionen Mark sind zu viel für ein Kreuzungsproblem

- 130 Bäume müssen dem Tunnelprojekt weichen

- Die Dorfkirche und -anger wären von der Schnellstrasse isoliert

- 100 Wohnungen und 16 Geschäftsräume müssten dem Bauvorhaben weichen

- Das Nachbarschaftsgefüge könnte unabsehbar gestört werden

- Verringerung der Fußgängerbereiche

- Verstärkung des Verkehrs

- Die prognostizierten Verkehrswerte sind zu hoch

Die Bürgerinitiative legte aber auch Alternativpläne vor, die erheblich kostengünstiger ausfielen.

Am 22. April, also 3 Tage vor der Entscheidung im Abgeordnetenhaus über die Bewilligung der Mittel rief die FDP-Fraktion über eine Presseerklärung die anderen Fraktionen auf, mit der Abstimmung am 25.4.1974 die Mittel für den Zehlendorfer Autotunnel nicht zu bewilligen, wenigstens jedoch eine Denkpause über dieses Vorhaben einzulegen. Desweiteren würden die Alternativvorschläge der Bürgerinitiative “erhebliche soziale und städtebauliche Fehlentwicklungen vermeiden”.

Am 23. April, zwei Tage vor der Entscheidung im Abgeordnetenhaus über die Bewilligung der Mittel stellte die SPD den Antrag, die Entscheidung des Abgeordnetenhauses in den Mai zu vertagen. Vielmehr soll die Bürgerinitiative die Möglichkeit erhalten, ihre Alternativpläne dem Bau- und Verkehrsausschuß im Abgeordnetenhaus vorzutragen.

Am 24. April tagte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Stadtbezirkes Zehlendorf. Der Bezirksbürgermeister Dr. Rothkegel wies in einer Rede den Vorwurf zurück, die Verwaltung würde bei diesem Bauvorhaben die Bürger überrollen. Die Vorschläge der Bürgerinitiative wären schließlich nicht neu, aber die fachliche Betrachtung läßt keine andere Möglichkeit zu. Zudem seien alle Parteien geschlossen für das Bauvorhaben. Der Gipfel des Plädoyers wird wie folgt formuliert: “Die unmittelbare Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen der Verwaltung ist wegen der zunehmenden Komplizierung aller Lebensverhältnisse im modernen Verwaltungsstaat und bei der wachsenden Größe der Gemeinden nur noch begrenzt möglich.”  Abschließend bekräftigt der Bezirksbürgermeister, dass der Bau des Autotunnels eine notwendige, sinnvolle und zweckmäßige Verkehrslösung sei.

Auszug aus dem Protokoll der BVV vom 24.04.1974 (Rede des Bezirkbürgermeisters)

Die Äußerung des Bezirksbürgermeisters über seine Vorstellung der Mitbestimmung der Bürger brachte die Bürgerinitiative erst richtig auf den Plan.

Wie schon erwähnt, sind im südlichen Bereich der Bundesstrasse 1 insgesamt 6 Unterfahrungen gem. dem Flächennutzungsplan (FNP) 65 vorgesehen. Die Unterfahrung Drakestrasse wurde schon errichtet, der Ortskern Zehlendorf wäre die zweite Anlage gewesen. Die Verwaltung gefährdete mit dem Fall des Zehlendorfer Tunnels die weiteren Unterfahrungen Asternplatz, Thielallee / Schützallee, Sundgauer Strasse und Argentinische Allee/ Spanische Allee.

Die FDP Zehlendorf nahm sich immer mehr dem Thema an. Die FDP sammelte am 27.4.1974 binnen 3 Stunden 2117 Unterschriften [Quelle: Tagesspiegel vom 28.4.1974] gegen den Tunnelbau. In den Wochen bis zum Mai 1974 erhöht sich der Protest der Bürger gegen den 871 Meter langen Bau im Ortskern. Die Bürger protestieren besonders gegen die Abholzung der Bäume. Auf dem Tunnel können keine neuen Bäume gepflanzt werden, da die Wurzeln die Tunneldecke beschädigen wurden / das Wurzelwerk keinen Halt im Boden finden würde. besonders der Allee-Charakter der einstigen Königsstrasse ginge für immer verloren.

Im Mai 1974 rudern die Parteien im Bezirk langsam zurück. In einer Presseerklärung fordert die CDU-Zehlendorf von der CDU-Berlin die Prüfung der eingegangenen Vorschläge der Bürgerinitiative. Auch die SPD-Zehlendorf bekennt, sie wolle die Vorschläge in Ruhe überdenken. Nur wenn der Tunnel in der geplanten Form in den folgenden 10 Jahren benötigt wird, müsse er jetzt gebaut werden.  Des weiteren ist der Pressemitteilung zu entnehmen: Der Tunnel sei für die SPD “keine heilige Kuh”.

Auch in anderen Stadtteilen wächst der Unmut gegen die Ausführung des Flächennutzungsplanes aus dem Jahr 1965. In Schöneberg formiert sich die Bürgerinitiative Friedenau”, die gegen die Teilung des Stadtviertels durch die Westtangente (auch ein Teilstück der ausgebauten Bundesstraße 1) kämpft. Später entsteht aus ihr die Initiative Westtangente, die den Weiterbau am Schöneberger Kreuz verhindert.

Anfang Mai hat die Bürgerinitiative Ortskern Zehlendorf bereits 9000 Unterschriften aus der Bevölkerung gegen den Bau des Autotunnels gesammelt. Am 9. Mai sollen diese mit weiteren neuen Argumenten der Bezirksversammlung Zehlendorf in einer Podiumsdiskussion vorlegen.

Informationsblatt der Bürgerinitiative zur Podiumsdiskussion am 9.5.1974

Der Tagesspiegel schreibt am 11. Mai 1974 über die Podiumsdiskussion, dass die Bürgerinitiative das Aussetzen der Planung für 10 Jahre fordert. Bis dahin, wenn dann evtl. eine Tunnellösung erforderlich ist, soll eine kostengünstigere Lösung zur Umgestaltung des Kreuzungsbereiches erfolgen. Das dadurch eingesparte Geld können so sozial stark belastete Bezirke profitieren.

Am 16. Mai stellt der Bausenator Riebschläger nun einen geänderten Ausführungsplan vor. Vorschläge der Bürger sind die Änderung eingeflossen. Demnach ergeben sich nun erheblich mehr Grünflächen und die Gehsteige sind in breiterer Ausführung dargestellt (ein Gewinn von 2000 qm2). Die Tunneldecke im Bereich der Mittelinsel soll etwas aufgeschüttet werden, sodass kleine Bäume gepflanzt werden können. Durch den Fortfall einer der 3 Fahrspuren je Seite gewinnen die Fußgänger mehr Raum. Der Bausenator bekräftigt jedoch, dass der Tunnel notwendig ist und die Bauverwaltung unverändert zum Projekt steht. Der Tunnel würde der Verkehrsberuhigung dienen, die Unfallziffern herabsetzen, Lärm und Schmutz reduzieren.

Informationsblatt vom 16.5.1974 mit Antwort auf den geänderten Tunnelplan

Die Bürgerinitiative lehnt aber auch diese Tunnelvariante ab. Auch weil nun höhere Kosten genannt werden (Anfangs 30 Mio, nun schon 40 Mio Mark).

Am 19. Mai 1974 berichtet der Tagesspiegel, dass die Zehlendorfer SPD die überarbeiteten Pläne begrüßt.

Am 29. Mai hat der Bau- und Verkehrsausschuß im Abgeordnetenhaus die Entscheidung getroffen, die Gelder für den Tunnelbau freizugeben.

Informationsblatt vom 30.5.1974 zur Abgeordnetenentscheidung

Nach dieser Entscheidung des Abgeordnetenhauses waren die Signale für den Tunnelbau auf Grün geschaltet. Lediglich der letzte Beschluß des Abgeordnetenhaus stand noch aus (13.6.1974). Die Bürgerinitiative rief nun zu einer Protestkundgebung vor dem Rathaus Zehlendorf auf. Am Sonnabend, den 8. Juni möge sich jeder Tunnelgegner unter der alten Kastanie versammeln.

Informationsblatt mit Aufruf zur Protestkundgebung am 8.6.1974

Die Protestveranstaltung am 8. Juni 1974 war ein Erfolg. Das hatte es bisher im gutbürgerlichen Zehlendorf nicht gegeben. Auf den Transparenten war zu lesen: “Steuern zahlen nur und wählen - Bürgers Meinung soll nicht zählen”

Die Bürgerprotest richtet sich mittlerweile nicht nur gegen den Tunnel, sondern speziell gegen die Verwaltung, die den Bürger nicht bei derartigen Entscheidungen teilhaben lässt.

Am 13.6.1974 entschied das Abgeordnetenhaus über den Tunnelbau. Die Gelder waren in der Ausschußentscheidungen schon gebilligt worden. Nun folgte die Entscheidung der Abgeordneten selbst. Der Tagesspiegel berichtet ausführlich über diese Sitzung. nach 3-stündiger Debatte stimmten 69 Abgeordnete für, und 63 gegen das Tunnelprojekt. In der Debatte kam zutage, dass schon einige Tätigkeiten für den Tunnelbau im Vorfeld ausgeführt worden sind. So hat das Bezirksamt Zehlendorf schon Entschädigungen und Änderungen der Kabelanlagen in Auftrag gegeben. Die Wasserbetriebe haben schon das Rohrmaterial geordert, die für die Umlegung der Leitungsrohre notwendig wären. Auch wurden die Straßen der geplanten Umleitungssstrecken ausgebaut.  Der Dahlemer Weg wurden in diesem betreffenden Abschnitt 4-spurig ausgebaut, die Ludwigsfelder Strasse ebenso sehr breit hergerichtet. Pläne für eine Brücke über die Bahngleise der Stammbahn (Clauertstrasse) ausgearbeitet.  Der Bezirksbürgermeister plane bereits eine Ausstellung über den Tunnelbau Zehlendorf. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Oxford sagte in der Debatte, Riebschläger (Bausenator) solle sich wegen des teilweise von ihm in Ausschußsitzungen in bezug auf die Bürgerinitiative angeschlagenen Tones bei dieser und vor dem Parlament entschuldigen. Riebschläger laufe sonst Gefahr, zum Senator “ für Tunnelbau und Arroganz” zu werden. Der Beifall des Publikums untermalte den letzten Satz.

Informationsblatt zur Entscheidung im Abgeordnetenhaus 13.6.1974

Immer mehr finden sich die Tunnelgegner in keiner Partei erhört.  Die FDP ist nicht für alle Tunnelgegner eine wirkliche Alternative, denn diese ist mittlerweile zu diesem Thema zerstritten. Nach und nach machen sich die Gedanken stark, eine eigene Kraft in der Politik zu bilden.

Im Sommer 1974 wird der Zehlendorfer Tunnel immer stärker ein Wahlkampfthema. Plötzlich will jede Partei es gewesen sein, die die Diskussion über den Tunnel überhaupt erst anregte.

Im Juli befaßt sich die Bürgerinitiative, wie Bürger zukünftig mehr Mitbestimmungsrecht in der kommunalen Politik erhalten können. Noch immer die nachhaltigen Sätze des Bezirksbürgermeisters vom 24.4.1974 im Ohr erscheint schon im Juli 74 das erste politische Infoblatt:

Infoblatt über die Forderung nach Änderung des Landeswahlgesetzes

Die Welt berichtet in ihrer Ausgabe vom 29.Juli 1974 über die Absicht der Bürgerinitiative, das Landeswahlrecht dahingehend zu ändern, parteiunabhängige Volksvertreter zur Wahl aufzustellen. Als Beweis für die Notwendigkeit ihres Vorstoßes führen die Bürgerinitiativen die Zustimmung des Abgeordnetenhauses zum Zehlendorfer Tunnelbau an. 

---> Die Bildung der Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger

Im Sommer 1974 erklärte der Bausenator, auf die übrigen nicht realisierten Autotunnel für die Bundesstraße 1 zu verzichten. Der Bausenator hält nun die Projekte für überflüssig. Die Bauprojekte sollen in einer Neuauflage des Flächennutzungsplans verschwinden. Die Bürgerinitiative bittet alle Fraktionen über einen Antrag eine schnelle Änderung des FNP65 zu erwirken, damit nicht nach den Wahlen im Jahr 1975 die Pläne wieder auf den Tisch gelegt werden können.

Mit der Absichtserklärung, Bürger aus der Initiative als parteilose Kandidaten aufzustellen, gerät die Initiative natürlich unter feindlichsten Beschuß der Altparteien. Schließlich arbeitet man langsam auf die Wahlen 1975 hin, zum anderen fürchtet man die Größe hinter dieser Initiative. Verbindungen zur linken SED werden ihr nahgesagt. Wahrlich fragwürdige Flugblätter der Altparteien Zehlendorf liegen dem Vereinsarchiv noch heute vor. Auch der DGB gibt in einer Presseerklärung vom 30.8.1974 bekannt, die Zulassung von freien Wählergemeinschaften gefährde die parlamentarische Demokratie.

Gerne erinnern sich die WUB-Gründer in diesem Zusammenhang an die Vorstellung von Demokratie, die der Bezirksbürgermeister Dr. Rothkegel im April zum Besten gab: “Die unmittelbare Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen der Verwaltung ist wegen der zunehmenden Komplizierung aller Lebensverhältnisse im modernen Verwaltungsstaat und bei der wachsenden Größe der Gemeinden nur noch begrenzt möglich.” 

Im September gibt die Initiative ein weiteres Infoblatt heraus. Da der Bausenator nun die restlichen 4 Tunnelbauten verzichtet, stellt sie den Zehlendorfer Tunnel nochmals in Frage. Welchen Sinn macht es, den ein Tunnel zu bauen, wenn die Pläne zum Ausbau der Bundesstrasse 1 bereits gefallen sind?

Infoblatt mit der Forderung das Tunnelprojekt zu stoppen 7.9.1974

Im Herbst 1974 reichen die Bewohner des Hauses Berliner Strasse 10  eine einstweilige Anordnung gegen die Bebauung des Grundstückes ein. Das Grundstück Nummer 10 der Berliner Strasse gehört zu den Flächen, die dem Autotunnel geopfert werden müssen. Noch im September 1974 wird der Senat vom Verwaltungsgericht aufgefordert, sich zur Notwendigkeit des Autotunnels zu äußern.

Am 23.9.1974 erscheint im Gesetz- Verordnungsblatt der Stadt Berlin die Verordnung 2232, die den Bebauungsplan X-127 bekannt gibt. Damit ist der Startschuß für den Tunnelbau gelegt.

Die Verordnung 2232 aus dem Gesetz- und Verordnungsblatt vom 23.9.74

Im Oktober 1974 laufen die Vorbereitungen zur Ausstattung der Umleitungsstrecken. Ampeln werden installiert und Fahrbahnen ausgebessert.

Infoblatt zum anstehenden Baubeginn 7. Oktober 1974

Am 10. Oktober 1974 stellte die CDU-Zehlendorf den Antrag, das dass Bezirksamt Zehlendorf keine Aufträge im Zusammenhang mit dem vom  Senator für Bau- und Wohnungswesen festgesetzten Bebauungsplan X-127, die den Bau eines Tunnels zum Ziele haben, zu erteilen. Nach hitziger Debatte wurde der Antrag mit 21 gegen 20 Stimmen angenommen. Die CDU begründet die Entscheidung, dass die notwendige Lösung des Verkehrsproblems an der Kreuzung im Ortskern frei von Vorurteilen, Fehleinschätzungen und auch Emotionen ermöglicht werden muss.

Am 5. November berichtet der Tagesspiegel, dass das Bezirksamt keinen Baum fällen lässt, ehe nicht ein neutrales Gutachten über den Tunnelbau vorliegt. Der Bezirksbürgermeister Dr. Rothkegel bestätigte das Vorgehen, zudem fordert er die Garantie, dass das Bauvorhaben nach 3 Jahren beendet sein kann. Man wolle keine 10-jährige Baustelle wie bei der kurzen Untertunnelung Drakestrasse im Ortskern. Die Senatsbauverwaltung räumte ein, bis zum 15. Dezember 1974 2 unabhängige Gutachten vorzulegen. Leider erhielten die Gutachter eine falsche Aufgabenstellung (Gutachten unter Berücksichtigung der Kreuzung mit Tunnel), sodass der Termin im Dezember nicht gehalten werden konnte.

Vorab veröffentlichte eine nicht beauftragte, neutrale Vereinigung “Institut für kommunale Planung und Systemtechnik (IKOS)” ein eigenes Gutachten mit dem Ergebnis, dass das Verkehrsproblem auch ohne Tunnel gelöst werden kann. Das Gutachten wurde allen Beteiligten zugestellt.

Skizze aus IKOS-Gutachten zur Umgestaltung der Kreuzung, Dezember 1974

Die Wahlen im März 1975 verzögerten die Entscheidung weiter. Im September 1975. Die Initiative ist mittlerweile in die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger aufgegangen. Viele andere Themen bestimmen nun die Arbeit der Unabhängigen.

Die ungewisse Situation verschiebt sich bis in den Januar 1976. Die Senatsbauverwaltung lässt verlauten, man müsse nochmals alle Pläne prüfen, die Tunnellösung sei nicht vom Tisch.

Im Februar 1976 ist nicht eindeutig von der Verwaltung in Erfahrung zu bringen, oder die 5 geplanten Tunnelvarianten für die Bundesstraße 1 aus den Plänen gestrichen wurde.

Die Spur des Tunnel-Gespenstes verliert sich 1976 ... Keiner redet mehr vom Tunnel, die Pläne werden nicht mehr aus den Schubladen geholt.  Im Sommer 1976 verschickt die Bauverwaltung 40.000 Broschüren und Fragebögen, denen 4 verschiedene Lösungsmodelle zur Verkehrsführung im Ortskern Zehlendorf zur Auswahl standen. Rund 2670 Antworten erreichten die Behörde.  

Broschüre über die 4 ebenerdigen Verkehrslösungen im Ortskern Zehlendorf

Nun wurde auf Grundlage dieser Umfrage der Umbau 1976 im Ortskern von der Zehlendorfer Eiche entlang des Teltower Damm bis zur Mühlenstraße vorgenommen.

Infoblatt zum Baubeginn der ebenerdigen Arbeiten an der Kreuzung im März 74

1977 stellt die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB) die große Anfrage in der Bezirksverordneten Versammlung (BVV), ob die planerische Tunnelschneise durch den Zehlendorfer Ortskern noch aufrecht erhalten wird.. Entsprechende Anträge zur Aufgabe von WUB und später auch von der FDP wurden vorher von der CDU und SPD-Fraktion  abgelehnt. Die Antwort lautet: “Der Bebauungsplan X-127 für den Zehlendorfer Tunnel gilt weiterhin in vollem Umfang.” Somit der der Freiraum für einen Autotunnel weiterhin nicht bebaut und für die Zukunft freigehalten.

Infoblatt 29 mit der Meldung über die Antwort des Bezirksamtes  April 1977

Bis 1985 gelang es der WUB über einen Antrag in der BVV, die Eichenallee Potsdamer Straße - Berliner Straße zum Naturdenkmal erklären zu lassen.  So ist eine Zerstörung der Eichen durch die 5 wahnwitzigen Autotunnel zukünftig erschwert. Am Kreuzungspunkt Drakestrasse, wo der eine Autotunnel verwirklicht wurde,  kann man sich heute noch ein Bild von der Zerstörung machen, die den Zehlendorfern erspart blieb.

In der umgestalteten Form von 1976 präsentiert sich die Kreuzung noch heute. Lediglich der Stauraum für die Linksabbiegerspuren auf den Ost/West Strecken (B1)  wurden später um etwa 20 Meter verlängert, und erst kürzlich die Fahrbahnmarkierung mit Linksabbiegerspur im Nord-Süd Bereich (Clayallee und Teltower Damm) aufgebracht.

Bisher hat keine Regierungskraft es gewagt, die Thematik erneut anzusprechen. Denn eigentlich sollte nach 1985 erneut über die Notwendigkeit der Unterführung nachgedacht werden, zumal sich die Verkehrssituation mit dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung 1990 grundlegend verändert hat. Aber in keinem Verkehrswegeplan tauchte diese oder ähnliche Tunnellösungen auf.

 
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Text: Jurziczek